Menschen statt Autos

Architektin Yvonne Michel Conrad* zur Stadt der Zukunft

Wie werden Städte geplant? Welche Blickwinkel spielen eine Rolle? Mehrheitlich sind sie immer noch aus der Sicht der Vollzeit arbeitenden Bevölkerung, insbesondere der Männer, konzipiert. Diese sollen möglichst schnell von A nach B kommen, wofür das Auto als Hauptverkehrsmittel eingeplant ist. Es gibt aber noch eine breite Bevölkerungsschicht, die anders unterwegs ist. Nämlich: Alle anderen.

Kinder, Jugendliche, Eltern mit Kleinkindern und Pensionierte verbringen mehr Zeit in der Stadt und legen andere Wege zurück. Und das oft zu Fuss, mit dem Bus, dem Trotti, dem Velo oder dem Rollator. Sozusagen eine Expertinnenschaft, die selten zu Wort kommt. Ihnen gilt hier die Aufmerksamkeit. Würden Städte aus ihrer Sicht geplant, sähen sie anders aus. Partizipation und Mitwirkung sind deshalb elementar wichtig für eine zukunftgerechte und inklusive Stadt. Würden Frauen an der Gestaltung und Beleuchtung des öffentlichen Raumes mitwirken, würde dem Aspekt der Sicherheit mehr Beachtung geschenkt.

 

Als Mutter, die regelmässig mit Velo und Kindern in Chur unterwegs ist, bin ich oft mit gefährlichen Situationen konfrontiert. Weder das Trottoir noch Fussgängerstreifen sind sichere Orte. Schutzengel arbeiten wohl rund um die Uhr, sonst würde wesentlich mehr passieren. Es braucht eine Planung für Menschen statt für Autos. Weniger Verkehr, langsamerer Verkehr und weniger Parkierungsflächen sind die Grundlage dafür. Sichere Velowege, breitere Trottoirs, Abstellmöglichkeiten für Lastenräder und Familienvelos müssen flächendeckend garantiert werden. Weniger Autos und Parkplätze ermöglichen mehr Raum für alle.

 

Dieser kann für hochwertig begrünte, biodiverse und beschattete öffentliche Plätze und Strassenräume genutzt werden. Bäume und Wasserflächen regulieren das Stadtklima und erhöhen die Lebensqualität im Siedlungsraum. Es braucht niederschwellige, integrative und barrierefreie Gemeinschaftsflächen mit entsprechender Infrastruktur. Die Stadt gehört nicht nur der arbeitenden Bevölkerung, sondern allen. Stadtentwicklung muss bedürfnisorientiert und mit gender- und altersgerechter Fachplanung erfolgen.

 

Für die Umgestaltung des Strassenraumes braucht es Mut, Experimente und Visionen. Zum Beispiel die Vision der «Stadt der kurzen Wege»: Gemischte Zonen mit Wohnen, Arbeiten, Quartierräumen und Einkaufsmöglichkeiten sowie Kita und Schulen sind in Gehdistanz erreichbar. Die sogenannten «Superblocks» sind erste Experimente in beispielsweise Barcelona, Berlin und Paris, die ganze Quartiere vom Auto befreien und begrünen. Der Verkehr wird auf Hauptverkehrsstrassen umgeleitet, was zu Verkehrsberuhigung und mehr Sicherheit führt. Dadurch verbessert sich die Lebensqualität. Die Bevölkerung merkt schnell, welche Mehrwerte der Autoverzicht im Quartier mit sich bringt und würde den Platz danach nie mehr hergeben. Es bietet im Übrigen auch dem Gewerbe ein grosses Potenzial. Es ist erwiesen, das autofreie Flaniermeilen rentabler sind.

 

Wir können diese Strategien in den Baureglementen und Plänen festlegen, die sich aufgrund des neuen Raumplanungsgesetzes vielerorts in Revision befinden. Ergreift die Chance und setzt euch in eurem Quartier, in eurem Dorf und in eurer Stadt für lebendige Orte ein! Der Mensch braucht die Gesellschaft. Schaffen wir die Räume dafür. Die Stadt der Zukunft ist fürsorglich, klimagerecht und gehört allen.

 

*Yvonne Michel Conrad ist Aktivistin des Feministischen Kollektivs Graubünden. Frauen machen 50 Prozent der Bevölkerung aus. Und wollen die Hälfte des Kuchens. Oder die ganze Bäckerei.

 

Feministische Kolumne in der Zeitung Südostschweiz vom 9. Oktober 2023

 

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