Es braucht den Willen - und Vernunft

Welche Grundordnung braucht die Klimavernunft?

Verdichten dient nur noch dazu, dass alle mehr Platz haben. Mittlerweile hat jede Person fast 50 m2 für sich, Senior:innen im Schnitt 78 m2. Man versteht aber auch ältere Ehepaare sehr gut, die in ihrem amortisierten Eigenheim mit 5-6 Zimmern günstiger fahren, als in einer neuen 3 Zimmerwohnung. Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum, speziell im Alter. Die Nutzfläche pro Person muss gemeinsam definiert und eingedämmt werden. Sie wächst nämlich einfach heimlich weiter. Darüber müssen wir reden. Es fehlen dazu die Debatten.

Es ist auf jeden Fall nicht die Idee gewesen mit der Revision des Raumplanungsgesetz alle Baulücken zu füllen, die man noch hat. Wir müssen haushälterisch mit unserem Platz umgehen, so steht es auch in ebendiesem Raumplanungsgesetz. Es braucht schnellstmöglich eine umsichtige Verdichtung, die eine Personen- und nicht Volumendichte meint, die Aufenthaltsqualitäten schafft, die Alltagsversorgung sicher stellt, die Klimaanpassung mitdenkt und erreichbare Naherholungsflächen für alle bereit hält. So geht’s:

 

Aufzonen und dafür hochwertigen Freiraum einplanen

Das Einfamilienhaus wird in der Stadt Chur langfristig weder zahlbar sein, noch anderweitig irgendjemandem nützen. Dies wird nur noch für die oberste Gesellschaftsschicht möglich sein. Wenn man hochwertige und interaktive Freiräume in Gehdistanz hat, dann braucht man den eigenen Garten auch weniger. Zumal die meisten Menschen mit Gärten, so scheint es beim verstohlenen Blick in diese, weder Zeit noch Musse haben, diese artgerecht zu pflegen. So sind die sogenannten «Steingärten» entstanden. Und wenn noch eine Fläche fürs Auge Grün bleibt, werden Mähroboter aufgeboten, die jegliches Leben im Garten sofort killen. Boden ist dafür zu wertvoll geworden. In Chur muss Biodiversität zur 1.Priorität werden. Jeder Zentimeter zählt jetzt. Anstatt alle Freiräume zu verbauen, muss man nachweislich unternutzte Wohnzonen aufzonen.

Baukultur erhalten

Das heisst natürlich nicht, dass wir beim Aufzonen alles abreissen und neu bauen. Man muss an die Vergangenheit erinnert werden dürfen und unsere Baukultur bei der Stadtentwicklung aktiv mitdenken. Baukultur ist Teil unsere Identität, die wir gemeinsam definieren. Diese soll auch zukünftigen Generationen erhalten bleiben. Retten wir, was noch zu retten ist. Mit einer Stadtbildkommission.

Unterirdische Grenzabstände einführen

Für die Setzung von grossen und schattigen Bäumen ist es wichtig, dass auch unterirdisch Grenzabstände eingehalten werden. Heute darf man vielerorts unterirdisch bis auf die Parzellengrenze bauen. Das hat den Nachteil, dass Freiflächen und Strassenränder grosse Setzungen und Baumreihen nicht mehr zulassen, weil sie zu wenig Humus bieten. Deshalb sieht man zunehmend kleine Verlegenheitsbäumchen und Sträucher, die aber für die Beschattung und Durchgrünung der Aufenthaltsräume und für Geh- und Velowege im Sommer keinesfalls ihren Zweck erfüllen. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer definierten Unterbauungsziffer, die möglichst keine unterirdische Bauten unter Freiräumen mehr gewährt. Gute Versickerung des Oberflächenwasser muss möglichst immer vor Ort geschehen. So sichern wir gleichzeitig Naherholungsräume in den Quartieren. Wir brauchen dafür den Platz und Planungsinstrumente, die eine sogenannte «Schwammstadt» ermöglichen. 60 Prozent des Siedlungsgebietes ist bebaut, betoniert, asphaltiert und versiegelt. Das kann es nicht sein.

Lebensräume statt Parkplätze füllen

Grad bei der Stadtentwicklung wird der Verkehr zu wenig beachtet, dabei bestimmt er unser Leben. Wir bauen unsere Städte immer noch für Autos statt für Menschen. Für ein hochwertiges und begrüntes Freiraumangebot, müssen Parkflächen und Fahrbahnen reduziert werden. Genau dieser Platz fehlt nämlich den Menschen für ein urbanes Lebensgefühl, zum Flanieren, zu Fuss oder auf dem Velo. Die Fussgänger und die Sicherheit für Velofahrer:innen müssen Vorrang haben. Was kann man tun? Man muss das Angebot für Autos möglichst reduzieren, wenige öffentliche Parkplätze unteririsch oder auf dem Stadtboden anbieten und diese verursachergerecht bewirtschaften. Das würde die Lebensqualität in der Stadt Chur erheblich verbessern, weil so der Verkehr auf Bus und Velo verlagert wird. Mehr Parkplätze bringen auch mehr Autos in die Stadt. Das sind am Postplatz derzeit 20 000 pro Tag, gleich viele wie am Gotthard. Auch bei Neubauten muss deshalb die Parkplatzpflicht abgeschafft werden. Wir müssen jetzt gesetzliche Anpassungen machen, damit wir in absehbarer Zeit unsere Klimaziele erreichen. Es braucht dafür den Willen zur Veränderung- und Vernunft.

 

Yvonne Michel Conrad

Geschäftsleiterin VCS Graubünden, Architektin und Stadtfan

 

Artikel in der Suedostschweiz, vom 15. Februar 2023

 

 

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