«Jeder Quadratmeter Grün verbessert das Mikroklima»

Regula Ott und Richard Walder setzen sich für mehr Grün und damit für ein besseres Mikroklima ein. Bild Livia Mauerhofer

Städte werden aus verschiedenen Gründen immer mehr zu Hitzeinseln. Regula Ott und Richard Walder vom Komitee der Stadtklima-Initiative zeigen, wie einfach es in Chur grüner und angenehmer werden könnte.

von Simone Zwinggi 

Es ist heiss an diesem Nachmittag im Mai, die Sonne brennt auf den Churer Bahnhofplatz. Menschen sitzen unter Sonnenschirmen oder schlendern durch den Schatten. Dass die Temperaturen wegen der Klimaerwärmung steigen und die Städte immer mehr zu Hitzeinseln werden, zeigt die Wissenschaft auf. Doch das Mikroklima in den Städten könnte auf einfache Weise verbessert werden. «Bäume leisten dazu einen grossen Beitrag», erklärt Richard Walder. «Sie spenden Schatten und kühlen die Umgebung, indem Wasser über ihre Blätter verdunstet. Ebenso filtern sie giftige Stickoxide sowie Fein- und Grobstaub aus der Luft.» Walder ist Forstingenieur und Mitglied des Komitees der Stadtklima-Initiative. 

Diese verlangt unter anderem, dass in Chur während zehn Jahren jährlich ein Prozent der Strassenfläche im Stadtgebiet in Grünfläche umgewandelt wird. Dies, um das Mikroklima in der Stadt besser zu regulieren und die Biodiversität zu fördern. «Entlang der Bahnhofstrasse wurden zwar auch Bäume gepflanzt, unter anderem trockenresistente, schmalblättrige Eschen, doch diese haben ein hartes Leben», sagt Walder. Die unversiegelte Fläche rund um den Baumstamm ist zu klein, um den Baum mit genügend Wasser zu versorgen. «Ein ‘grünes Band‘ zwischen den Bäumen, also ein unversiegelter, zum Beispiel mit Gras oder Stauden bewachsener Streifen, würde bereits eine grössere Wasserzufuhr ermöglichen und mehr Grün in die Stadt bringen», erklärt Walder. 

Der Spaziergang entlang der Ottostrasse über die Alexanderstrasse zeigt: Beispiele von Bäumen, deren Wurzeln kaum Platz finden, gibt es in Chur einige. Beim Ottoplatz – ein asphaltierter Platz mit Parkplätzen und ein paar Moloks – folgt der nächste Stopp. «Seit 2006 steht im Churer Baugesetz, dass dieser Platz zu einer Begegnungszone umgebaut werden soll», führt Regula Ott aus. «Dass es hier und entlang der Brandisstrasse noch immer öffentliche Parkplätze gibt, ist nicht nötig. Schliesslich befinden sich in einer Gehdistanz von nur wenigen Minuten mehrere Parkhäuser.» 

Die Umweltwissenschaftlerin wendet sich der kleinen Grünfläche am Rand des Ottoplatzes zu. «Hier liess man den Strunk eines mindestens 100-jährigen Baumes und etwas Gras stehen – das ist gut für die kleinen Organismen.» Verschiedene Pilze wachsen hier und kleine Insekten finden hier Lebensraum.

Belebtere Strassen

Stellt Ott sich so Grünflächen in der Stadt vor, für die sie sich einsetzt? «Nein. Mit einer gezielten Planung hätte man hier mit nur wenig Aufwand viel mehr herausholen können», sagt sie bestimmt. Und erläutert am Beispiel der Brandisstrasse: «Würde man entlang dieser Strasse die Parkplätze aufheben, gäbe es Raum für einen Grünstreifen, für Bäume, Fussgängerinnen und Velofahrer. Sie wäre damit attraktiver und sicherer – es könnten hier gar wieder Kinder spielen.» Eine Utopie? Mitnichten. Städte auf der ganzen Welt, zum Beispiel New York, zeigen, dass begrünte, vom Autoverkehr befreite Strassen viel mehr Nutzen als Nachteile bringen: Die Bäume sorgen für ein angenehmeres Mikroklima, mit dem Verschwinden oder Zurückdrängen der Autos kommt wieder Leben auf die Strassen, es entstehen Cafés und neue Läden, aus Durchgangsorten werden Orte zum Verweilen. 

Eine Aufhebung von Parkplätzen sorge im ersten Moment für einen grossen Aufschrei, sagt Umweltwissenschaftlerin Ott. «Aber meist dauert es nicht lange, bis die Aufregung verschwindet. Ein gutes Beispiel dafür ist die Churer Poststrasse oder der Limmatquai in Zürich. Auf diese Fussgängerzonen möchte heute niemand mehr verzichten.» 

Der Spaziergang führt weiter durchs Quartier. Ott und Walder haben fast an jeder Ecke einen Hinweis auf Lager. Auf einem kurzen, nicht asphaltierten Abschnitt der Salisstrasse sind Autos neben üppigem, in die Strasse ragendem Grün parkiert. «Hier staut sich die Hitze nicht, und jeder Quadratmeter Grün trägt zu einem besseren Mikroklima und auch zu mehr Biodiversität bei», erklären die beiden. 

Ott und Walder sind überzeugt, dass es angesichts des Klimawandels höchste Zeit ist, etwas zu unternehmen. «Die Städte werden aufgrund der steigenden Temperaturen und der verdichteten Bauweise immer mehr zu Hitzeinseln – dagegen muss etwas unternommen werden. Mit dem ‹courant normal› laufen wir in einen Kollaps.» 

Sie wünschen sich vor allem auch einen intensiven, funktionierenden Austausch mit den Behörden. Die Bevölkerung und die Behörden sollen gemeinsam verbindliche Ziele und Vorhaben zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Förderung der Biodiversität auf öffentlichem und privatem Raum vereinbaren, wünschen sie sich.

Dieselbe Herausforderung für alle

«Chur ist nicht alleine», betonen die beiden. «Alle Städte stehen vor dem Problem der Überhitzung und der abnehmenden Biodiversität.» Sie erzählen von der Stadt Bern, die ein Biodiversitätskonzept erarbeitet hat, und von der Kampagne «Grünes Gallustal», bei der ein grosser Verbund von Experten aus verschiedensten Bereichen – Architekten, Umweltwissenschaftlerinnen, Polizisten – mit konkreten Beispielen aufzeigt, wie die Stadt St. Gallen grüner, belebter und damit lebenswerter gemacht werden kann. Auch Sargans sei in jüngster Zeit in diesem Bereich aktiv geworden, weiss Ott. 

Der kleine Stadtrundgang endet beim Rigahaus. Die Aussenraumgestaltung des Churer Seniorenheims wurde von der Stiftung Natur und Wirtschaft zertifiziert. Hohes Gras mit verschiedenen Blumen, Platanen, die auf dem Aussenbereich des Cafés Schatten spenden, daneben eine Wasserwand, die für zusätzliche Kühlung sorgt. Hier lässt es sich gut verweilen. «Vielleicht gestalten die Stadt Chur und viele weitere Grundeigentümer ihre Aussenanlagen auch bald nach diesen Qualitätsstandards?», sinniert Ott.

 

Quelle: Südostschweiz/Bündner Tagblatt am 07.06.2022 (Seite 8 als PDF)

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