GASTKOMMENTAR RENATO FASCIATI ÜBER DIE TOURISMUSSTAUS AUF BÜNDNER STRASSEN

Verkehrskollaps und Alternativen

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Das Wetter und die Schneeverhältnisse stimmen. Trotz Höhepunkt der Coronafallzahlen melden die Bergbahnen sehr gute Frequenzen. Das ist positiv für den Bündner Tourismus. Viel weniger gut sieht es jedoch als Folge auf den Strassen aus. Staumeldungen erreichen uns von den Hauptachsen Graubündens bis nach Zürich und behindern den Verkehr für Gäste und Einheimische. Viele Dörfer leiden an den Wochenenden ausserdem am entsprechenden Schleichverkehr.

Wie können diese negativen Auswirkungen reduziert werden? Einzelne Gemeinden haben es mit Sperrungen der Zufahrtsachsen versucht und sind beim Bundesamt für Strassen (Astra) und der Polizei aufgelaufen. Ökonomisch betrachtet ist das Problem klar: Es herrscht eine Übernachfrage nach den beschränkten Strassenkapazitäten. Zu viele Fahrzeuge zur selben Zeit bewirken stockenden Verkehr und Stau mit allen negativen Begleiterscheinungen. Für die Reisenden selbst, aber auch für die unbeteiligten Anwohner entlang der Verkehrsachsen. Es spricht für das exzellente Angebot des Bündner Tourismus, dass sich die Gäste dies Woche für Woche antun und scheinbar stoisch ertragen. 

Zur Lösung des Problems gibt es theoretisch drei Möglichkeiten: Erweiterung des Angebots, Reduktion der Nachfrage oder bessere Verteilung derselben. Die Vergrösserung des Angebots ist kurzfristig nur beschränkt möglich. Mehr Spuren zu schaffen an neuralgischen Punkten, ist allenfalls durch Nutzung des Pannenstreifens möglich, löst das Problem jedoch nicht. Eine Erhöhung des Angebots mit neuen Fahrspuren lässt sich für die beschränkte Anzahl Tage im Jahr aus finanziellen und ökologischen Gründen kaum rechtfertigen, geschweige denn innert nützlicher Frist umsetzen. So bleibt noch die Reduktion oder die bessere Verteilung der Nachfrage. 

Am Ende des Skitages herrscht vielerorts Stau. Wenn es gelingt, die einen bereits am Nachmittag zur Abreise zu bewegen und andere noch länger in den Destinationen zu halten, könnte das Problem entschärft werden. Die Frage ist, wie dies effizient angestellt werden könnte, sei es über ein Reservationssystem oder auch über finanzielle Anreize. Die Herausforderung ist, dass die Nutzung der Strassen grundsätzlich ein öffentliches Gut ist, das heisst, jeder kann sie jederzeit nutzen. Wenn eine Person früher oder später losfährt und damit eine zeitlich weniger ideale Zeit wählt, dann profitieren alle anderen durch weniger Stau. Sie selbst hat jedoch die Nachteile und damit wenig Anreize, sich so zu verhalten. 

Konzepte zur Steuerung des Verkehrsflusses existieren bereits im Ausland. Mobility- oder Roadpricing heissen die Zauberworte. Vor allem in Innenstädten wird vielerorts versucht, durch die Erhebung von Gebühren, die je nach Zeit unterschiedlich hoch ausfallen, die Nachfrage zu steuern, jedoch jederzeit die Benützung der Strassen zu ermöglichen. Das erste Innenstadt-Maut-System wurde bereits im Jahre 1975 in Singapur eingesetzt. Der Bundesrat hat vor einem Jahr entschieden, ein Gesetz für Pilotprojekte zu Mobility-Pricing in die Vernehmlassung zu geben. Damit sollen solche Projekte rechtlich ermöglicht und finanziell unterstützt werden. 

Das Problem ist, dass solche Modelle in Politik und Bevölkerung wenig beliebt sind und eine Umsetzung sehr viel Zeit und Geld kostet. Alle Fahrzeuge und verschiedene Infrastrukturen müssten damit ausgerüstet werden. Somit sind schnelle Lösungen auf diesem Pfad nicht zu erwarten. Trotzdem gäbe es rasche Lösungen, welche einen Effekt erzielen könnten. Wieso nicht mit speziellen Angeboten, zum Beispiel einem Apéro, Abendessen oder Vergünstigungen versuchen, einen Teil der Gäste am Abend noch länger in der Destination zu halten, damit sie sich erst nach 20 Uhr auf den Rückweg machen? 

Es bleibt als Lösung somit noch die Reduktion der Strassennachfrage. Die Anzahl Gäste und damit die Wertschöpfung sollen dabei nicht reduziert werden. Das Schlüsselwort heisst Substitution! Wieso nicht einfach die An- und Abreise mit dem öffentlichen Verkehr unternehmen? Die Reisenden profitieren zur Hauptreisezeit vielerorts vom annähernden Halbstundentakt mit neuen Zügen von den Destinationen bis nach Zürich und weiter. Die Gäste können zur gewünschten Zeit abreisen, das Gepäck einfach von Tür zu Tür versenden, die Reise nicht im Stau, sondern bei einem Glas Wein geniessen und gleichzeitig auch schon die kommende Woche vorbereiten. Mehr ÖV entlastet die Nerven aller und insbesondere auch die Strassen. Wir stehen bereit!

Quelle: Gastkommentar von Renato Fasciati im Bündner Tagblatt am 15.02.2022

«Fahrtziel Natur»: nachhaltige Mobilität und sanfter Tourismus kombiniert

Seit 2016 engagieren sich das Netzwerk Schweizer Pärke, der Verkehrs-Club der Schweiz zusammen mit dem VCS Graubünden sowie der Bündner Vogelschutz gemeinsam mit der Rhätischen Bahn und PostAuto unter dem Label «Fahrtziel Natur» für eine nachhaltige Mobilität. Die Idee macht in Deutschland bereits seit 2001 Schule. In der Schweiz sind die Bündner Pärke die ersten Fahrtziele Natur. Graubünden gibt den Takt vor und mobilisiert – für einen sanften Tourismus.

⇒ Mehr zu Fahrtziel Natur in Graubünden

Mit dem ÖV in die Bündner Pärke

Eine Befragung des Bundesamtes für Umwelt zeigte einmal mehr, dass immer noch zu viele Leute mit dem Auto in die Berge fahren. Ein Paradox: Sie belasten damit jene Landschaften, die sie wegen ihres Erholungswerts aufsuchen. 84 Prozent der Ferienreisen in den Berggebieten werden mit dem Privatfahrzeug durchgeführt – in den meisten Fällen mit dem Auto. Damit die Anreise der Feriengäste vermehrt mit dem öffentlichen Verkehr (ÖV) stattfindet, sind Initiativen gefragt.

⇒ Klartext im Bündner Tagblatt am 22.07.2016 

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